3. Wiesen, Äcker, Wasserleiten


Ortsbezeichnung: Flüe (Uf dr Flüe)

 

Unten die Wiesen, oben die Äcker in der Mitte die Wasserleiten

Wir gewinnen einen ersten Überblick über die bäuerliche Kulturlandschaft.

 

Direkt unter den Felsen, an den steileren Hängen, lagen die kleinen Äcker, die ursprünglich mit Trockenmauern gegen das Abrutschen des Erdreichs gesichert waren. Hier wurden Getreide, meist Roggen, und Kartoffeln angepflanzt. Diese Parzellierung ist heute durch die zunehmende Vergandung in natura nur noch knapp ersichtlich, man sieht sie aber auf Aufnahmen bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts.

 

Diese Ackerlandschaft wird durch eine praktisch horizontal verlaufende Hauptwasserleitung von dem darunterliegenden Wiesland getrennt.

  

Für die Bewirtschaftung stand ein ausgedehntes Wegnetz zur Verfügung, welches heute als Wanderweg genutzt wird. Die Wege waren zu den Wiesen mit Trockenmauern und Zäunen abgegrenzt. Das Weideland war so von durchziehenden Tieren geschützt. Die Wegbreite entsprach meistens der Breite einer Kuh. 

 

Die Pflege der Wiesen erforderte ein ausgedehntes Bewässerungssystem. Vier Hauptwasserleitungen in Form von Wassergräben, sogenannte Wasserleiten, bezogen das Wasser aus dem Triftbach. Über ein Netz von kleineren Wasserleiten, die häufig auch die Parzellengrenzen bildeten, erfolgte die Feinverteilung.

 

Die Ökonomiegebäude, sogenannte Stallscheunen, stehen abseits der Lawinenzüge an gesicherten Stellen. Das Weide- und Grasland ist in viele kleine Parzellen gegliedert, welche den einzelnen Ställen zugeordnet sind. Es ist das typische Bild der Nomadenwirtschaft. War das Futter in einer Scheune aufgebraucht, zog man mit den Tieren zum nächsten Stall. 

 

 

Details und Geschichten zu Wiesen, Äcker, Wasserleiten

Beim Blick über die Landschaft fällt auf, dass sich zuoberst im Gelände die Terrassierungen der früheren Äcker abzeichnen. Die mittleren und unteren Lagen bestehen aus Heuwiesen. Die Aufteilung bestehend aus Ackerland oben und Wiesland unten hatte ihren Sinn: Soll das Getreide im Gebirge reifen, benötigen die Äcker eine intensive Sonneneinstrahlung. Dies ist in den höheren, steilen und der Sonne zugekehrten Arealen gegeben. Trotz der kurzen Vegetationsperiode im Gebirge vermag das wärmeliebende Getreide hier auszureifen. Die Wiesen mit den darauf zerstreuten Stallscheunen können aber ohne Verlust tiefer liegen bis in die Ebene hinein - wo sie dem Dorf erst noch näher sind und das Heu weniger weit in die Scheunen getragen werden muss. Dies verkürzt im Winter auch die Wege zum Versorgen des Viehs. 

  

Die Schälpmatte misst mehrere tausend Quadratmeter. Auf dem Areal verstreut sieht man einige Stallscheunen. Sie gehören verschiedenen Besitzern, oft teilten sich mehrere Leute eine einzige Stallscheune. Auch das Land ist in viele Parzellen aufgeteilt.

 

Diese Kleinparzellierung war einst sinnvoll: Jeder Eigentümer besass mehrere Dutzend Parzellen, die sowohl an der Sonnseite als auch an der Schattseite lagen und die auf das Gebiet vom Dorf unten bis hoch zur Alp verteilt waren. Hier schmolz der Schnee früher und man konnte die Feldarbeiten beginnen, dort jedoch später; hier war es trockener, dort feuchter; hier der Sonne zugekehrt, dort schattiger. Damit war die Arbeit nach Jahreszeit und Witterung auf verschiedene Höhenstufen und Talseiten verteilt und war Schritt für Schritt machbar.

 

Diese Aufteilung hatte auch einen ungewollt sinnvollen Nebeneffekt: Verwüstete eine Lawine oder ein Wildbach ein Gebiet, verlor ein Bauer nur einen kleinen Teil seiner Grundlage. All seine anderen Parzellen blieben unversehrt. Man überlebte dank dieses Risikosplittings. Hätte man grosse Flächen am Stück besessen, hätte ein Totalverlust gedroht – Hunger oder Auswanderung wäre die Folge gewesen. 

 

Tempi passati. Wir haben Mühe, die damaligen Zwergbetriebe zu verstehen, die mit weiten Fusswegen und mühseligen Transporten in Rückenkörben verbunden waren. Heute fährt eine Maschine über die Schälpmatte und mäht die riesige Fläche rationell an einem Vormittag. An eine andere Zeit, die nur wenige Jahrzehnte her ist, erinnert sich der Zermatter Othmar Perren (*1948) und erzählt: „Hier haben wir drei Wochen mit den Sensen herumgesäbelt und heute machen sie alles in einem Tag." 

 

Damals bewirtschafteten etwa zehn Familien die obere Schälpmatte. Heute ist es ein Einzelner und der Zufall will es, dass der Bauer Reto Gobba gerade mit seinem Motormäher (Typ Combi Trac) auf der steilen Matte arbeitet und das Heu wendet. In unserem Gespräch treffen Welten aufeinander.

 

"Dazu habe ich viele Erinnerungen. Jeden Frühling gingen wir hier mit dem Rechen das Land säubern und warfen die Steine auf einen Sammelhaufen", erklärt Othmar Perren weiter. "Nach dem Räumen mussten wir auch den Mist zerkleinern."

 

Auch die Anfänge der mechanisierten Landwirtschaft hat Othmar Perren miterlebt, also die Vorgänger von Bauer Gobbas flinkem Allzweckfahrzeug, das bereits wieder über die steile Schälpmatte rattert. "Unser Vater hatte hier die erste Mähmaschine, damals hiess es Traktor, 1956 war das.“ Der Einachser der Marke Bucher-Fahr mit seinem Ladeanhänger und dem Mähbalken mag uns heute niedlich erscheinen. Wer je von Hand Berglandwirtschaft betrieb, für den waren diese paar PS bereits eine revolutionäre Erleichterung. Vater Perren musste sich zu Beginn manche spöttischen Kommentare anderer Landwirte anhören, die als Sensenmäher nur die präzise und saubere Handarbeit schätzten, fand jedoch bald einige Nachahmer.

 

Auf der oberen Schälpmatte erblicken wir talauswärts zwei Stallscheunen, die ganz aus Stein gebaut sind, die restlichen sind aus Holz. Die untere dieser beiden wurde um die Jahrhundertwende anstelle eines von der Lawine weggefegten Holzbaus mit einem rückwärtigen Lawinenteiler errichtet. Von der oberen weiss Othmar Perren zu berichten: "Leo Julen (1885–1957), der Onkel meiner Mutter, hat dieses Gebäude von Grund auf gemauert und stellte den Steinteil gegen den Lawinenzug hin. Leo sprengte grosse Steine, die auf der dazugehörenden Wiese lagen und verbaute die-se zur Stallscheune. Den Boden ebnete er aus. 

 

Den Namen Schälpmatte führt der Flurnamenforscher Prof. Dr. Iwar Werlen (Bern) auf das mittelalterliche Wort „schelb“ auch „schalb“ oder “schälb“ zurück, das „schief“ meint. Es handelt sich um eine steile Matte, eine abschüssige Wiese. Sie ist in unserem Falle 1435 als „Schelbmatta“ und „an den Schelbmatton“ schriftlich  bekannt. In der Tat stehen wir an einem steilen Wiesenhang – bekannter ist im Oberwallis der aus „schelb“ abgeleitete Flurname „Schälbet“, „Schalbet“, was ein schiefes, abschüssiges Gebiet meint, wie Iwarn Werlen erklärt.