19.2 Doppelstallscheune mit reich verzierter Stubenbinde 1433


Ortsbezeichnung: Obru Flesche

 

Zweites Leben von Wohnhäusern

Der nördliche Teil des alten Doppelbaus steht in seiner ursprünglichen Art vor uns. Ein mächtiger Unterzug (Binna), über der Stalltür aus der Front ragend, hält die Stalldecke, die zugleich den Scheunenboden bildet. Die alte Binna stammt aus einem Wohnhaus und ist 51 cm breit – was für ein stattlicher Baum muss das gewesen sein, aus dem sich ein so grosser Unterzug sägen liess. Und vor allem ist er auf der Sichtseite reich mit Kerbschnitzereien verziert.

 

Zu sehen sind drei grosse Rosetten, kunstvoll in mehrere Felder unterteilt, weiter eine stilisierte Breitaxt (Zimmermannswerkzeug), ein sechszackiger Stern, ein sogenanntes Wiederkreuz (mit Querbalken an den vier Balkenenden), ein stilisierter Baum und weitere Verzierungen. Auch die Pfosten der Stalltüre, im Dialekt Biischtall genannte Ständer, tragen Rosetten in Kerbholzschnitzerei. Auch hier handelt es sich um eine wiederverwendete Binna, vermutlich halbierte Stücke des grossen Dielbaums, der heute noch 4 m lang ist.

 

Dieses Vorgehen (Bauelemente eines Wohnhauses werden in Wirtschaftsbauten wiederverwendet) sahen wir nun schon mehrmals. Beim vorliegenden Stück aber ist die Qualität der Kerbschnitzerei und die Vielzahl der Motive aussergewöhnlich. Sie lassen auf einen wohlhabenden Auftraggeber schliessen, dessen Haus sich vielleicht an einem anderen Standort befand, vielleicht aber hier an der Route zum vielbegangenen Theodulpass.

 

Die Art der Ornamente weist auf das späte Mittelalter, was eine Dendrodatierung inzwischen bestätigte: Der riesige Baum wurde im Jahr 1438 gefällt. In Zweitverwendung diente er während Jahrhunderten in dieser Stallscheune, nahe des alten, abgegangenen Weges hinauf zum Furi. 2020 wurde die südliche Gebäudehälfte abgebrochen und 2021 in denselben Dimensionen wiedererrichtet. Der nördliche Teil ist wohl baufällig, doch in seiner ursprünglichen Art erhalten.

 

 

Labornummern Dendrosuisse 2022: 621388-390 vom 30. Juni 2022

Koordinate 2 622 645 / 1 094 709

Parzellennummer GIS 3388, Gebäudenummer 70